Stahl in der Medizintechnik

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Mussten Sie in der Schule auch Goethes Götz von Berlichingen lesen? Wenn ja, dann erinnern Sie sich vermutlich an zwei Sachen: Zunächst natürlich das berühmte Zitat vom Lecken eines unappetitlichen menschlichen Körperteils und vielleicht daran, dass der Protagonist auch Ritter mit der eisernen Hand genannt wurde.

Denn tatsächlich trugen sowohl der literarische wie auch historische Götz eine Armprothese aus Metall – ein wahres Meisterwerk der mittelalterlichen Schmiedekunst, ausgestattet mit arretierbaren Fingern, die auf Knopfdruck in ihre Ausgangsposition zurücksprangen. Noch heute lässt diese Eiserne Faust sich im Museum zu Jagsthausen bestaunen.

Seit damals allerdings ist viel Wasser die Lenne heruntergeflossen. Prothesen bestehen längst nicht mehr aus Eisen, sondern aus modernen Hochleistungsmaterialien. Ärztinnen und Ärzte sind in der Lage, ganze Gelenke und Knochen durch Implantate zu ersetzen. Und operiert wird auch nicht mehr mit einer rostigen Säge und einem ordentlichen Schluck Brandy, sondern mit Hilfe von Präzisionsinstrumenten, die nanometergenau arbeiten können.

Zu verdanken sind diese Fortschritte natürlich jeder Menge schlauer Köpfe. Allerdings nicht nur aus der Medizin, sondern auch aus der Metallurgie. Denn zahlreiche Verfahren und Behandlungstechniken wurden erst durch einen Werkstoff möglich, mit dem wir uns bestens auskennen: Stahl.

 

Worauf es bei medizinischen Stählen ankommt,
wieso Chirurgen nicht auf ihre Stahlskalpelle
verzichten können und wieso eine Hüftprothese
aus Eisen eine ganz schlechte Idee wäre,
erzählen wir Ihnen in diesem Beitrag.

 

Medizinische Stähle: Spezialisten für unsere Gesundheit

Wir haben es schon öfter erwähnt, wiederholen uns aber gerne: Stahl ist nicht gleich Stahl. Jede einzelne Legierung besitzt unterschiedliche mechanische und chemische Eigenschaften, die sie für den Einsatz in einem bestimmten Bereich prädestinieren. Dass dieser Grundsatz für eine hochkomplexe Disziplin wie die Medizin ganz besonders gilt, sollte dabei niemanden überraschen.

Deshalb unterscheiden wir grundsätzlich zwischen zwei Kategorien des medizinischen Stahls: Werkstoffe für Instrumente und Werkstoffe für Prothesen. Werfen wir einen genaueren Blick auf diese beiden unterschiedlichen Stahlfamilien:

Rostfrei und bruchsicher: Stahl für medizinische Instrumente

Stahl für medizinische Geräte, umgangssprachlich auch Chirurgenstahl oder schlicht Medizinstahl genannt, gehört überwiegend zu den martensitischen Edelstählen. Sein Hauptlegierungselement ist in der Regel Chrom, weiterhin sind häufig größere Anteile Nickel und Molybdän in seiner Zusammensetzung enthalten.

Härte: Durch die martensitische Umwandlung des Stahls entsteht ein Werkstoff von ausgezeichneter Härte und Festigkeit. Sollte es während einer Operation also mal rabiater zugehen oder der Arzt mit dem Skalpell auf einen Knochen treffen, bricht sein Instrument nicht ab und gefährdet womöglich das Leben des Patienten.

Steifheit: Dank Chirurgenstahl werden Klingen steif und ihr Schliff bleibt über lange Zeit scharf. Nur so ist es Chirurgen möglich, auch längere Schnitte präzise auszuführen oder kleinste Ritzer zu setzen, wie wir sie von minimalinvasiven Operationen her kennen.

Hitze- und Säurebeständigkeit: Nach, vor und manchmal sogar während einer OP werden alle Instrumente gründlich gereinigt. Dabei kommen nicht nur große Hitze, sondern auch aggressive Substanzen auf Basis organischer Säuren zum Einsatz, die aus einem durchschnittlichen Buttermesser schnell ein unansehnliches Häufchen Altmetall machen. Werkzeuge aus medizinischem Stahl dagegen überstehen dank ihrer Hitze- und Säurebeständigkeit zahlreiche Sterilisationen und arbeiten für lange Zeit präzise und zuverlässig.

Korrosionsschutz: Der menschliche Körper ist außerdem ein veritables Feuchtbiotop – zur Erinnerung: Wir bestehen aus bis zu 80 Prozent Wasser, unser Blutplasma sogar zu 91 Prozent. Medizinische Geräte sind während der Arbeit also einer starken Feuchtigkeit ausgesetzt; von der anschließenden Reinigung ganz zu schweigen. Gut also, dass Edelstahl nicht rostet.

Kratzfeste Oberfläche: Chrom verleiht medizinischen Instrumenten außerdem eine kratzfeste Oberfläche. Das ist deshalb von Bedeutung, da bereits die kleinste Furche in einem Werkzeug zu einer Brutstätte von Bakterien werden kann, die in der Tiefe des Materials vor einer Sterilisation recht sicher sind. Und niemand möchte sich einen Krankenhauskeim einhandeln, weil er sich eine Krampfader hat ziehen lassen.

Hygiene: Apropos Bakterien – die kleinen Widerlinge haben auf der Oberfläche von Chirurgenstahl kaum eine Chance, denn die Legierung wirkt antibakteriell.

Bonustipp: Falls Sie ob seiner zahlreichen positiven Eigenschaften jetzt über ein Piercing aus Chirurgenstahl nachdenken, müssen wir dringend davon abraten. Zahlreiche Menschen reagieren mit einer Unverträglichkeit auf den Nickelanteil den viele Edelstahllegierungen enthalten. Wählen Sie für Ihr Erstpiercing bitte immer Schmuck aus Horn oder Kunststoff!

Für medizinische Instrumente kommt also auf keinen Fall jeder beliebige Stahl in Betracht, sondern immer nur Spezialstähle, die den hohen Anforderungen der Medizintechnik genügen. Sie finden diese Werkstoffe in unserem Portfolio unter anderem unter den Werkstoffnummern 1.4057, 1.4545 und 1.4310.

Biokompatibel und bioadhäsiv: Implantatstahl

Zwar kommen für zahlreiche Implantate und Prothesen ebenfalls Edelstähle zum Einsatz, anders als der Chirurgenstahl durchlaufen sie allerdings ein austenitisches Herstellungsverfahren, zum Beispiel das Elektro-Schlacke-Umschmelzverfahren. So werden diese Werkstoffe von zahlreichen metallischen Verunreinigungen befreit und eignen sich damit besonders gut für ihren sensiblen Einsatz.

 

Weiterhin besitzen Sie die folgenden Vorteile:

Festigkeit: Festigkeit bezeichnet die Widerstandkraft gegen mechanische Belastung. Ein neues Schultergelenk sollte also gute Festigkeitswerte aufweisen, denn einer Bewegung ist es fast ständig ausgesetzt. Prothesenstahl erfüllt diese Voraussetzung und ist damit besonders langlebig.

Korrosionsschutz: Sie erinnern sich, in unserem Körper geht es ziemlich feucht zu. Implantatstahl weist deshalb immer hervorragende Korrosionseigenschaften auf. Schließlich wünscht sich niemand, dass die neue Hüfte nach einem halben Jahr wegen Rostschäden ausgetauscht werden muss.

Säurebeständigkeit: Säuren werden an vielen Stellen unseres Körpers gebildet, nicht nur im Verdauungsprozess. Sie entstehen zum Beispiel auch als Abfallprodukt der zellulären Energieproduktion und ganz besonders bei Abbau von Eiweißen. Zwar werden diese Säuren durch Basen schnell neutralisiert, ein Kontakt mit dem Implantat kann aber nie ganz ausgeschlossen werden.
Weiterhin werden Implantate in der modernen Medizin mit einer feinen Schicht aus entzündungshemmenden Stoffen überzogen, um die Immunantwort des Körpers zu drosseln. Dazu gehört unter anderem Hyaluronsäure. Säurebeständigkeit ist daher eine essentielle Eigenschaft von Implantatstahl.

Biokompatibilität: Biokompatibel bedeutet, dass unser Körper den Fremdstoff nicht bekämpft und abstößt. Wenn Sie sich etwa einen Holzsplitter in den Finger rammen, wird ihr Immunsystem mit einer Entzündung reagieren. Da Prothesenstahl allerdings hochgradig biokompatibel ist, halten die Erythrozyten ihre Membranen still und greifen das neue Körperteil nicht an.

Bioadhäsion: Bioadhäsion wiederum bedeutet, wie gut der menschliche Körper eine Prothese in das natürliche Gewebe einarbeiten kann. Rostfreie Edelstähle besitzen leider nur mäßig gute Adhäsionseigenschaften und müssen deshalb in der Regel mit Zement fixiert werden. Allerdings existieren noch modernere wenn auch teurere Werkstoffe auf Titanbasis, die eine so hohe Bioadhäsion aufweisen, dass sie bereits nach kurzer Zeit und ganz ohne Zement vollständig in die natürliche Knochenstruktur eingearbeitet werden.

Implantatstähle sind auf ihrem Gebiet genauso Spezialisten, wie die Chirurgenstähle und benötigen ihre ganz eigenen Eigenschaften, um sich für den Einsatz im menschlichen Körper zu eignen. Deshalb besitzen sie auch eine eigene Normierung, nämlich die ISO-5832. In unserer Werkstoffdatenbank finden Sie geeignete Edelstähle etwa unter den Werkstoffnummern 1.4441 und 1.4472.

Medizinische Stähle: Ohne wäre schlecht

Wir hoffen, Ihnen ein wenig nähergebracht zu haben, wie wichtig Spezialstähle für unsere moderne Medizin sind. Ohne das über Jahrhunderte angesammelte wissen in der Metallverarbeitung sähen die Überlebenschancen nach einer OP deutlich schlechter aus und zahlreiche Menschen müssten ihr Leben mit schweren Einschränkungen verbringen.

Stahl hält also nicht nur die Industrie am Laufen, sondern auch Sie und uns. Ein vielseitigerer Werkstoff ist nur schwer zu finden. Abschließend gestatten wir uns daher wie immer den Hinweis: Sollten Sie noch Fragen haben oder Ihre Order für unseren medizinischen Spezialstahl auf den Weg bringen wollen, freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme!